Anmerkungen zum Beitrag »Königsrecht« von Peter Müller in der Süddeutschen Zeitung vom 18.10.2025

In seinem Gastbeitrag »Königsrecht« in der Süddeutschen Zeitung vom 18.10.2025 (Seite 6) kritisiert Peter Müller das bestehende Wahlrecht und preist einmal mehr das Mehrheits- beziehungsweise »Grabenwahlrecht« als Alternative an. Hierbei verkennt Herr Müller, daß Deutschland eine jahrzehntelange Tradition des Verhältniswahlrechts hat, und eine Änderung in dieser Grundsatzfrage in weiten Teilen der Bevölkerung kaum auf Akzeptanz treffen dürfe. Es würde von vielen Menschen in Deutschland als undemokratisch empfunden, wenn eine Partei, die bei Wahlen gerade einmal bei um die 35 oder, wie die Union bei der Bundestagswahl 2025, 28 Prozent läge, im Parlament die absolute Mehrheit hätte.

Gleichwohl betont Herr Müller, daß das Bundesverfassungsgericht die Mehrheitswahl und das »Grabenwahlrecht« als verfassungsgemäß bezeichnet habe. Dies allerdings trifft auch auf das gegenwärtige Wahlrecht zu, bei dem das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich in seinem Urteil vom 30.07.2024 betonte, daß das Zweitstimmendeckungsverfahren keine offene oder verschleierte Abkehr von den bisherigen Grundzügen unseres Wahlrechts darstelle [BVerfGE 169, 236, 294]. Herr Müller bezeichnet es als »nicht hinnehmbar«, daß 23 Wahlkreisgewinner nicht in den Bundestag einzögen – dabei hat das Verfassungsgericht genau hieran nichts beanstandet.

Zugleich plädiert Herr Müller für die Einführung eben dieses »Grabenwahlrechts« und regt dabei eine Direktwahl der 299 Direktkandidaten als Mehrheitswahl an, bei der eine Stichwahl erforderlich würde, wenn die Kandidaten bei der Hauptwahl weniger als 50 Prozent erhielten. Dies würde dazu führen, daß die AfD-Kandidaten in Ostdeutschland bei den Stichwahlen unterliegen würden wie auch jüngst bei den Stichwahlen in NRW. Der Osten würde bunter werden und nicht etwa von einer »schwarzen Welle« überrollt. Diese Aussage wird allerdings vom Wahlergebnis der Bundestagswahl 2025 widerlegt: In den 46 Wahlkreisen, die durch die AfD in Ostdeutschland und Berlin gewonnen wurden, waren in 36 Wahlkreisen die Kandidaten der CDU zweitplaziert (78.3%). Überdies dürfte fraglich sein, ob Anhänger der Union angesichts der Diskussion in der CDU Ostdeutschlands über eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD in den beiden Wahlkreisen, in denen der Zweitplazierte Kandidat der Linkspartei ist, diesen auch tatsächlich bei einer Stichwahl wählen würden.

Tatsächlich zeigen Berechnungen früherer Wahlergebnis, ausgewertet nach dem »Grabenwahlrecht«, daß von diesem vor allem die Union profitieren würde. Würde das Wahlergebnis der Bundestagswahl 2021 als relatives »Grabenwahlrecht« umgerechnet, verlören alle Parteien außer der Union 162 Mandate (bei gleichzeitiger Verkleinerung des Bundestages von 736 auf 598 Mandate), während CDU und CSU zusammen noch einmal 25 Mandate hinzugewönnen. Die Unionsparteien hatten auch in der Vergangenheit bereits vor allem dadurch geglänzt, Wahlrechtsvorschläge zu machen, von denen vor allem sie selbst profitieren, was den seinerzeitigen Lammert-Vorschlag ausdrücklich miteinschließt.

Auch die Behauptung, »the loser takes it all« bezüglich Abgeordneter, die beim Ringen um das Direktmandat unterliegen zugleich aber über die Landesliste in den Bundestag einziehen, während der Wahlkreisgewinner mangels Zweitstimmendeckung leider draußen bleiben muß, ist eine Irreführung. Seit je her war im deutschen Wahlrecht nicht vorgesehen, daß Direktmandate eine eigene Wirkung auf die Mehrheitsbildung im Bundestag entfalten. Deshalb wurden sie stets mit den Zweitstimmen verrechnet, die über die Zusammensetzung des Bundestages entscheiden sollten. Jeder, der in den Bundestag gewählt wird, ist somit ein »Gewinner«. Die deutsche Verfassung und auch das Bundeswahlgesetz kennen keine Abgeordneten erster und zweiter Klasse. Sie alle sind Vertreter des ganzen Volkes (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG).

Das gegenwärtige Wahlrecht setzt in der Betonung des Verhältniswahlrechts den Wählerwillen nahezu unverfälscht um. Durch die Nichtzuteilung von Direktmandaten verlieren die Parteien keine ihnen sonst zustehenden Anteile an der Sitzverteilung im Bundestag. Deshalb ist auch der entsprechende Eindruck, den Herr Müller in seinem Gastbeitrag zu erwecken versucht, falsch.

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