Bundesverfassungsgericht entscheidet am 30.07.2024 über Wahlrechtsreform der »Ampel-Koaliton«

Am 30. Juli 2024 entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition. Geklagt hatten hatte die bayerische Staatsregierung, sowie die CDU/CSU und die Fraktion der Linkspartei sowie die Parteien CSU und Linkspartei.

Entschieden werden die Fragen, die bereits im voranstehenden Artikel zur Verhandlung über die Wahlrechtsreform der »Ampel-Koalition« diskutiert wurden, nämlich die Entscheidung des Gesetzgebers, Direktmandate nur noch zuzuteilen, wenn diese durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt sind, die Grundmandatsklausel abzuschaffen sowie die Zahl der Sitze im Deutschen Bundestag auf 630 zu begrenzen.

Nach der hier vertretenen Einschätzung zum Urteil wird es zu Beanstandungen allenfalls im Detail kommen. Das Bundesverfassungsgericht räumt dem Wahlrechtsgesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des Wahlrechts ein. Unzulässig sind dabei lediglich Regelungen, die gegen Wahlrechtsgrundsätze verstoßen. Überdies darf der Wahlrechtsgesetzgeber keine Sperrklausel vorgeben, die höher als fünf Prozent liegt. Widersinnige Effekte bei der Zuteilung der Stimmen wie der inverse Erfolgswert (»negatives Stimmgewicht«) sind ebenfalls unzulässig. Der Wahlgesetzgeber kann Ausnahmen von der Sperrklausel ermöglichen, wie es bei der Grundmandatsklausel der Fall war. Die Formulierung »kann« im Urteil aus dem Jahr 1997 (BVerfGE 95, 408, 422) weist darauf hin, daß die Möglichkeit nicht aber die Pflicht für eine solche Regelung besteht.

Insofern darf aus heutiger Sicht bezüglich des bevorstehenden Urteils zur Wahlrechtsreform der Bundesregierung angenommen werden, daß es in der Hauptsache nicht beanstandet wird. Die Festlegung, daß Direktmandate nur dann zugteilt werden, wenn sie durch die Zweitstimmen gedeckt sind, betont den Charakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl. Auch im vorangegangenen Wahlrecht kam den Direktmandaten kein eigener gestalterischer Charakter bezüglich der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag zu. Weil auch die Einführung einer Grundmandatsklausel nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Ermessen des Wahlrechtsgesetzgebers liegt, ist auch hier keine Beanstandung zu erwarten.

Diskutiert und somit möglich wäre allenfalls die Aufforderung an den Gesetzgeber, Parteien die an der Sperrklausel scheitern, eine weitere Möglichkeit zu eröffnen, in den Bundestag einziehen zu können. Ob dies letzlich auch im Urteil gefordert wird, dürfte die spanndende Frage im Hinblick auf die Verkündung am 30. Juli 2024 sein.

Veröffentlicht unter Bundesverfassungsgericht, Wahlrecht | Verschlagwortet mit , , , , | Schreib einen Kommentar

Bundesverfassungsgericht verhandelt über Wahlrecht

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am 23. und 24. April 2024 über die Wahlrechtsreform der »Ampel-Koalition«. Geklagt hatten CDU, CSU und Linkspartei sowie rd. 4000 Bürger/innen.

Im Wesentlichen geht es um zwei Streitpunkte:

Um den Bundestag zu verkleinern entschied die Regierung aus SPD, Grüne und FDP, die Überhangs- und Ausgleichsmandate abzuschaffen. Hierzu wurde die Regelung in das Wahlgesetz geschrieben, daß Direktmandate nur dann zugeteilt werden, wenn sie durch die Zahl der Mandate gedeckt ist, die einer Partei nach Zweitstimmen zustehen. Gewinnt eine Partei mehr Direktmandate, als ihr nach Zweitstimmen zustehen, werden den Kandidaten, die die niedrigsten Wahlergebnisse haben, die Direktmandate nicht zugeteilt.

Überdies wurde durch die Regierungsfraktionen im Vorfeld der 2. und 3. Lesung überraschend die Grundmandatsklausel abgeschafft. Diese besagt, daß eine Partei auch dann entsprechend ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag einzieht, wenn sie drei Direktmandate gewinnt. Die Streichung dieser Regelung verkleinert oder vergrößert den Bundestag nicht. Gewinnt eine Partei drei oder mehr Direktmandate, ohne mehr als fünf Prozent der Stimmen zu gewinnen, werden auch diese nicht zugeteilt. Auch hiergegen geht die CSU vor, obgleich in Bayern eine ebensolche Regelung besteht.

Nach der hier vertretenen Auffassung, die auch im Buch »Wahlen?« vertieft wird, könnte das Bundesverfassungsgericht beide Einwände abweisen. Die Regelung, daß die Direktmandate nur dann zugeteilt werden, wenn sie durch die Zweitstimmen gedeckt sind, ist nicht widersinnig und den Wähler/innen im Vorfeld der Wahl bekannt. Zwar konnten die Wähler/innen bislang stets darauf vertrauen, daß der Direktkandidat im  Wahlkreis, der die meisten Stimmen bekommt, das Mandat gewinnt, gleichwohl aber ist durch die Festlegung der Bedingung im Vorfeld der Wahl die Nichtbesetzung einzelner Direktmandate keine unvorhergesehene Überraschung für die Wähler/innen und die Kandidat/innen.

Im Urteil zur Grundmandatsklausel entschied das Bundesverfassungsgericht bereits, daß der Wahlgesetzgeber, dem stets ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt wird, eine Regelung wie die der Grundmandatsklausel treffen kann. Dies deutet bereits darauf hin, daß auf eine solche Regelung von Verfassungs wegen kein Anspruch besteht. Einzig Regelungen, die die Sperrklausel auf über fünf Prozent anheben, seien mit der Verfassung nicht vereinbar. Die Streichung der Grundmandatsklausel hebt diese Sperrklausel nicht an, sondern bekräftigt sie allenfalls.

Ins Gespräch gebracht wurde eine Absenkung der Sperrklausel, weil ansonsten zu viele abgegebene Wählerstimmen nicht an der Besetzung der Mandate im Bundestag beteiligt würden. Auch hier stellt sich die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht diesen Umstand in der beschriebenen Dramatik sehen wird. Zwar hatte im Jahr 2013, als FDP und AfD knapp an der Sperrklausel scheiterten, ein Anteil von 15.8 Prozent der Stimmen keinen Einfluß auf die Zusammensetzung des Bundestages. Dies stellte jedoch einen einmaligen Ausreißer dar. Noch bei der Bundestagswahl 2009 lag der Anteil dieser Stimmen bei 6.0 Prozent. Im Jahr 2017, also nachdem dieser Anteil auf 15.8 Prozent angestiegen war, fiel die Zahl der Stimmen ohne Einfluß auf die Sitzverteilung auf 5.1 Prozent und lag bei der Bundestagswahl 2021 bei 8.6 Prozent. Wäre im Jahr 2021 die Linkspartei allerdings nicht über die Grundmandatsklausel in den Bundestag eingezogen, läge dieser Wert bei 13.5 Prozent.

Auf der anderen Seite muß in Betracht gezogen werden, daß die Grundmandatsklausel seit der Wahl 1990 nur zwei Mal zum Zuge kam, nämlich als die PDS im Jahr 1994 über die Grundmandatsklausel in den Bundestag einzog und die Linkspartei bei der Wahl 2021.

Somit bleibt hier im Ergebnis wohl zu erwarten, daß das Bundesverfassungsgericht die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition im großen und ganzen nicht beanstanden wird.

Veröffentlicht unter Bundesverfassungsgericht, Wahlrecht | Verschlagwortet mit , , , , | Schreib einen Kommentar

Ausgleichslose Überhangmandate – CSU-Fraktion schrumpft

Im Rahmen der Wahlrechtsreform der großen Koalition, die auf den letzten Metern vor der Bundestagswahl 2021 verabschiedet wurde, setzte die Union durch, daß es drei ausgleichslose Überhangmandate im Bundestag geben wird. Bei der Bundestagswahl fielen diese der CSU zu.

In Kürze werden Andreas Scheuer und Stefan Müller die Fraktion verlassen und ihre Mandate niederlegen. Dadurch wird die CSU-Fraktion um zwei Mandate auf 43 Abgeordnete schrumpfen, denn bei ausgleichslosen Überhangmandaten gibt es keinen Nachrücker. Diese Entscheidung fiel bereits vor Jahrzehnten und schlug sich auch in der Wahlrechtsreform der großen Koalition nieder. Während beim Ausscheiden von Abgeordneten der anderen Fraktionen die freiwerdenden Plätze mit Nachrückern von der Landesliste wieder aufgefüllt werden, ist dies bei den ersten drei Abgeordneten der CSU wegen der ausgleichslosen Überhangmandate nicht der Fall. Erst wenn ein vierter Abgeordneter der CSU sein Mandat niederlegt, wird es wieder einen Nachrücker geben.

Im Rahmen der Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition wird dies keine Rolle mehr spielen, weil die Entstehung der Überhangmandate im Rahmen dieser Reform vollständig unterbunden wurde.

Veröffentlicht unter Uncategorized | Schreib einen Kommentar